Krefeld-Viersen, 16.10.2011
Ich komme aus Essen. Sie wissen
ja, was Gott rief, als er das Ruhrgebiet schuf? „Essen ist fertig“. Ich komme
aus Essen. Auch am Welthunger-/Welternährungstag. (In dieser Welt ist die
Zerrissenheit eine ständige Begleiterin.) Ich komme aus Essen und ich gehe
gerne essen. Ich koche auch gerne. Oft bringt mich diese Welt zum Kochen. Und
das Kochen bringt mich dann oft zum Beten. Schnippeln, Rühren, Abschmecken hat
etwas Meditatives für mich. Gäste zu haben ist mir heilig. Selber zu Gast sein,
genieße ich meistens sehr.
Neulich sitze ich mit meiner Freundin Nicola im Café
Oliv, Zuhause in unserem Stadtteil. Hier gibt es das beste indische
Massala-Curry-Gemüse außerhalb Indiens. Da sagt sie: Hat die Seele auch
Hunger? Was meinst du? Ich habe das Gefühl, ich habe gut gegessen, aber ich bin
noch nicht satt. Satt, aber hungrig. Sehnsucht meldet sich zu Wort. Solange bis
sie gestillt ist.
Die Kirche war für mich schon oft und immer wieder ein Ort, an
dem ich meine Sehnsucht teilen konnte. Den Hunger nach Gerechtigkeit. Den Durst
nach Schönheit. Den Wunsch, Verwobenheit zu erleben. Achtsamkeit zu üben. Oft
habe ich in der Kirche eine besondere Trostkraft erlebt; und auch versucht, sie
selber zu vermitteln.
Die Kirche war aber auch immer wieder Mal ein Ort, an dem
ich nicht satt wurde. Mich abgespeist fühlte. Ich kam mit Durst. Man hat mir
die Zusammensetzung von H2O erklärt. Aber ich habe nichts zu trinken bekommen. Das drückte der große persische Dichter Hafiz einmal so aus: Warum Gottes
Speisekarte nur studieren? Menschenskinder ‐ lasst uns essen.“ (Mein Herz im
Spiegel deiner Augen, S. 47)
Oft habe ich erlebt, dass Frauen in der Kirche ihr
Vermissen teilen. Ihre Träume, ihren Wunsch nach Segen und Frieden, für ihre
Seele, für ihre Kinder, für alle Kinder von Familie Mensch. Wie sie schufen,
was ihnen fehlt, (in der Kirche wie in dieser Welt): Sinnlichkeit und Tiefe,
Ausdrucksformen, die jenseits der Worte liegen oder Worte, die nicht herrisch
daherkommen; Demokratie, wahre Beteiligung, Ermutigung zum Kühnen. Und dass
„Kosten“ nicht nur Geld und Rechnen meint, sondern auch Probieren und
köstliches Experiment.
Oft habe ich meine Sehnsucht auch an anderen Orten
geteilt: zum Beispiel im „Spirituellen Kochkurs“.
Ich denke an einen Abend. Djamila bereitete Cous‐Cous zu. Es duftete verführerisch. Sie geriet ins Erzählen beim Kochen: „Perser sind so gastfrei, dass man oft schon von den Vorspeisen satt wird. Wie oft hat meine Mutter das Hauptgericht wieder zurück in die Küche gebracht...“ Djamila. Ihr Name bedeutet „die Schöne“. Ihre Heimat ist Shiraz, in Fars, im südlichen Iran. Das Erzählen brachte sie ins Erinnern: „Wo ich herkomme – meine Stadt – ist berühmt für ihre Gärten und die Rosenzüchtungen. Und für den Wein, die Reben sind süß und schmecken nach dunklen Beeren. Und die berühmtesten persischen Dichter sind hier begraben. Wusstet ihr das?“ Einige sagten, nein, unsere Bilder von Deiner Heimat sehen anders aus. Staubiger. Djamila nickte, lächelte, zwinkernde Tränen in den Augen, Cous‐Cous an den Fingern. Da legte Shanti den Arm um sie. Ihr Name bedeutet Friede. Nicola, intuitiv wie sie sein kann, berührte kurz die Klangschale. Da – neigten wir alle den Kopf. Wir schwiegen. Als wir wieder aufsahen, trafen sich unsere Blicke. Der Moment war heilig. Wir haben verschiedene Namen für Gott. Aber wir waren uns einig und nah. (Charda seufzt tief. Ihr Name bedeutet, das erzählt sie immer mit Stolz, Ausreißerin.) Und Djamila flüsterte: Liebgewinnen ist ein gutes deutsches Wort.
Würde die Welt
doch öfter gemeinsam essen, denke ich, sie würde, nahezu unvermeidlich
gemeinsam beten. Und könnte so auch lieben lernen. Intuitiv, wie sie sein kann.
Essen, beten, lieben. Eat, pray, love. Gott... Gespeist, gepilgert, geküsst.
Ich wünsche mir eine Kirche, in der wir Hunger und Durst teilen. In der wir
beten. Und Gott verschiedene Namen geben. Eine Kirche, die uns dabei
unterstützt, Liebende zu werden.
Eine Kirche, die nicht Familie als Ideal
fordert, sondern familiäre Räume schafft. Eine Kirche, für die sich
Tischgemeinschaft nicht erschöpft im Abendmahl, in einem Bissen Brot und einem
Schlückchen Wein; eine Kirche, die Gastfreundschaft übt. Sie muss sie nicht
perfekt beherrschen, aber üben. Weltweite Gastfreiheit und konkrete vor Ort mit
unseren Nachbarinnen. Von außen sind wir verschieden, aber innen, innen haben
wir alle ein Herz. Unsere Mütter sind alle Mütter.
Wenn meine Großmutter kochte, dann erzählte sie Geschichten. Sie konnte vom Hunger erzählen und davon, wie Worte satt machen. Vom Krieg und wie ein Riegel Schokolade einen Feind zum Schmelzen brachte. Sie wusste von Bücherverbrennungen und dass man Schriftsteller töten kann und nannte manche Worte unsterblich. Sie nährte immer die Hoffnung, dass eine andere Welt auf dem Weg ist. Sie besuchte die Kirche, ja, besuchte sie wie eine alte Freundin. Und war überzeugt: Man bringt etwas mit; wie Blumen oder Pralinen. Man hört nicht nur zu, man teilt, was man hat. Sie mischte sich ein. Sie erntete Erdbeeren und Himbeeren und Erde und Himmel waren ihr heilig. Sie brachte für mich die Welten zusammen. Glauben und Taten. Trotz und Feier. Denn „Worte sind ja gut, aber Hühner legen Eier...“ (Elazar Benyoetz) Manchmal schon kam mir der Gedanke: Sie wäre eine großartige Bischöfin gewesen... Sie sagte: Kochen lernst Du, indem du kochst, und dann merkst, was schmeckt. Mut lernst Du, indem Du mutig bist. Und Gottvertrauen lernst Du auch so: Indem Du Deine Seele Dein Leben lang an diese große Idee gewöhnst.
Schokoladenkuchen mit Pumpernickelmus und Waldbeersauce. Sie hätte das
großartig gefunden. (Zucker, schmelzen, verkrümeln, Pump und Ballast mit
Beeren... phantastisch.)
Wenn ich überlege, was Djamila und meine Großmutter
gemeinsam haben, meine Idealbischöfin und mein Traum von Kirche und Hafiz,
meine Schwestern der Trostkraft, mit meinen Freudinnen aus dem Kochkurs: Sie
sind großzügig, weitherzig. Und sie sind kühn. Sie kämpfen. Sie arbeiten alle
viel und sie können genießen. Sie lieben Familie Mensch. In allen Farben. Sie wissen: Brot allein macht nicht satt. Liebe macht satt.
Daher – liebe Frauen: Eat, pray, love. Fütter Deine Seele mit dem, was wirklich satt macht. Erlaube Gott, Deine Gastgeberin zu sein in dieser Welt. Liebe und lass Dich lieben. Und: Genieße Schokolade – es kann kein Zufall sein: Sie reimt sich mit der Gnade. Und die ist, die hat das letzte Wort.
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